Orientieren ohne Kompaß

Sie befinden sich in the middle of nowhere, wie es in der englischen Sprache so schön heißt. Total ohne Orientierung und ohne Ahnung, in welcher Richtung es nach Hause geht. Da heißt es erst einmal Ruhe bewahren.

Diese Seite soll aber keine Einführung in das Überlebenstraining werden. Hier geht es nur darum, sich auch ohne Kompaß in einem unbekannten Gelände zurechtzufinden. Folgende Hilfsmittel stehen zur Verfügung: Sonne, Sterne und die Natur.

Der Vollständigkeit sei gesagt, daß die folgenden Informationen nur für Gebiete auf der nördlichen Hemisphäre unseres Planeten gelten, und zwar wiederum nur solche nördlich des Breitengrades von 23,5 Grad (dem Wendekreis des Krebses). Glücklicherweise fällt aber das gesamte Europa darunter. Manches hier dargestellte funktioniert auch auf der Südhalbkugel, nur muß dann schon mal Norden mit Süden getauscht werden. Ich hoffe, Sie finden heraus, an welcher Stelle.

Also, Sie befinden sich irgendwo und wissen nicht weiter. Falls es in der Nähe einen Hügel gibt, sollten Sie ihn besteigen und nach Spuren menschlicher Besiedlung suchen. Falls Sie nichts entsprechendes finden, versuchen Sie herauszufinden, in welche Richtung ein Weiterwandern am erfolgversprechendsten ist.

Falls Sie keine Karte haben, versuchen Sie, selbst eine zu erstellen, und legen Sie die Nordrichtung fest, indem Sie eine der weiter unten beschriebenen Methoden verwenden. Falls Sie doch eine Karte mit sich führen, versuchen Sie Ihren Standort zu bestimmen.

Beginnen wir mit der genauesten Methode der Nordbestimmung: Voraussetzung dafür sind klarer Himmel und eine Menge Zeit. Ein Vorteil liegt darin, daß man keine besonderen Hilfsmittel benötigt: Nur einen etwa 1 Meter langen geraden Stock, zwei kleinere Äste oder Steine, einen weiteren Stock (oder auch Stein), mit dem man in den Boden ritzen kann, und etwas, das als Schnur verwendet werden kann.

Der Trick mit der Nordbestimmung beginnt am Morgen. Wir benötigen ein Stück ebenen Boden, in den der lange Stock senkrecht gesteckt wird. Einer der beiden kleinen Stöcke wird dort, wo der Schatten endet, in den Boden gerammt (siehe Bild). Dann wird mit Hilfe einer Schnur, die am Fuße des langen Stocks befestigt wird, und an derem anderen Ende sich der Ritzstock befindet, ein Halbkreis gezogen, der den kleinen Stock berührt. Dann muß bis zum Abend gewartet werden. Der Schatten wird während des Tages bis zum Mittag kürzer werden, um dann wieder an Länge zuzulegen. Man kann versuchen, den kürzesten Schatten zu markieren, er zeigt dann nämlich nach Norden (falls man nördlich von 23,5 Grad nördlicher Breite ist).
Schließlich wird der Schatten wieder länger und erreicht den gezogenen Kreis wieder (siehe Bild). Dort wird der zweite, kleine Stock hineingesteckt. Falls man keine Schnur zum Ritzen des Kreises hatte, kann man auch einen passenden Stock o.ä. verwenden. Wichtig ist nur, daß ein Halbkreis entsteht.
Die Verbindungslinie zwischen den beiden kleinen Stöcken liegt nun genau in Ost-West-Richtung; die senkrecht darauf stehende Linie somit Nord-Süd.

Es existiert noch eine etwas abgewandelte, schnellere Version, die ohne Schnur und Halbkreis auskommt. Allerdings wird sie umso ungenauer, je weiter man vom Äquator entfernt ist. Man steckt wieder einen Stock in den Boden und markiert das Ende seines Schattens. Dann wartet man etwa 20 Minuten und markiert wieder das Schattenende. Die Verbindungslinie zwischen beiden Markierungen verläuft in etwa Ost-West.

Nachts kann man sich an den Sternen orientieren. In der nördlichen Hemisphäre steht nämlich Polaris fast genau in Nordrichtung. Dieser Stern ist einfach zu finden, wenn man das Sternbild "Großer Wagen" (auch "Großer Bär") kennt. Suchen Sie die beiden übereinanderstehenden Sterne am Ende des Großen Wagens und ziehen Sie eine imaginäre Linie nach oben, etwa 5 mal so lang wie der Abstand der beiden Sterne. Dann treffen Sie auf Polaris. Damit haben Sie die Nordrichtung. (Das Bild zeichnete übrigens Kathy Miles).

In der südlichen Hemisphäre kann man sich in ähnlicher Weise am "Kreuz des Südens" orientieren.

Auch eine (Zeiger-)Armbanduhr kann helfen, die Nordrichtung zu finden. Winkeln Sie den Arm an, so daß Sie die Uhr ablesen können. Drehen Sie sich so, daß der Stundenzeiger (hier rot) auf die Sonne zeigt. Halbieren Sie dann den Winkel zwischen dem Stundenzeiger und der 12-Uhr-Marke: Diese Richtung ist Süden ! (Vor 6 Uhr und nach 18 Uhr gilt: Immer den größeren Winkel bis zur 12-Uhr-Marke halbieren, also den Winkel zwischen der aktuellen und der 12-Uhr-Mittag-Position des Stundenzeigers).
Übrigens: Der Winkel muß halbiert werden, weil sich der Stundenzeiger der Uhr in der Zeit, in der sich die Sonne einmal um die Erde bewegt, zweimal um das Ziffernblatt bewegt. Na gut, die Sonne bewegt sich nicht um die Erde, sondern eher umgekehrt, aber jeder weiß, wie es gemeint war, oder ?
Falls man Träger einer digitalen Armbanduhr ist, zeichnet man sich eben ein Ziffernblatt. Der Rest der Methode ist identisch.
Anmerkung: Man muß natürlich während der Sommerzeit seine Uhr für diese Richtungsbestimmung um eine Stunde korrigieren, d.h. man muß eine Stunde abziehen !

Diese Methode funktioniert in unseren Breiten recht brauchbar; wird aber sehr ungenau, je mehr man sich dem Äquator nähert.

Falls man eine Stecknadel dabei hat, kann man sich selbst einen Kompass bauen. Man benötigt dazu nur noch ein Glas Wasser. Die Nadel schwimmt durch die Oberflächenspannung des Wassers obenauf, wenn man sie nur sanft genug absetzt. Dazu gibt es drei Tricks. Erstens: Man legt die Nadel auf ein Stück Papier. Das Papier saugt sich nach einiger Zeit voll und sinkt, die Nadel schwimmt (hoffentlich). Zweitens: Man fettet die Nadel ein wenig ein und drittens: Man versucht sie mit einer Gabel oder etwas ähnlichem vorsichtig abzusetzen.
Falls die Nadel nun magnetisch ist, arbeitet sie so genau wie ein Kompass: Sie zeigt die Nord-Süd-Richtung an. Aber wo ist Nord, wo Süd ? Entweder raten oder weitere Kenntnisse anwenden.
Und wenn es keinen Schatten gibt ? Der Autor (Kjetil Kjernsmo) hat folgende Naturhinweise erforscht: Bäume besitzen auf der Nordseite gewöhnlich weniger Zweige. Dies kann man am einfachsten überprüfen, indem man von unten am Stamm entlangschaut.
Die Nordseite der Bäume ist feuchter, deswegen siedeln sich dort mehr Moose und Flechten an. Und Ameisen bauen ihre Hügel auf der Südseite von Bäumen.

Im Winter gibt der Schnee Hinweise: Auf der südwärts gelegenen Seite von Felsen und Abhängen taut er schneller weg. Vegetation und Unterbewuchs ist auf Südseiten dichter, Früchte reifen eher.

Update von April 2002:

Alte Kirchenbauten wurden so ausgerichtet, dass der Altar im Osten steht, somit der Kirchturm im Westen.

Bei frischen Baumstümpfen kann man meist erkennen, dass die Jahresringe nicht gleichmäßig voneinander entfernt sind. Durch die Sonneneinstrahlung sind sie in Südrichtung breiter (=stärkeres Wachstum) als im Norden.

Alle diese Natur-Methoden sind nicht sehr zuverlässig. Der Wind kann zum Beispiel einiges verändern, deswegen sollte man soviel wie möglich dieser Hinweise sammeln, um sicher zu gehen.

Wer weitere Hinweise zu diesem Thema kennt, sollte mir eine E-Mail (df3kt@qsl.net) senden. Ich werde sie sammeln und hier veröffentlichen.

(Freie Übersetzung der Internet-Seiten von Kjetil Kjernsmo, mit freundlicher Genehmigung des Autors, Link zum Original)

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Das Erdmagnetfeld aus geophysikalischer Sicht (Oder: Wie verhält sich mein Kompass in Australien ?)